Lieferketten: Unsichtbares Rückgrat der Agrarwirtschaft
Lieferketten sind das komplexeste System der Welt – sie produzieren alles für alle und koordinieren acht Milliarden Menschen gleichzeitig. Diese Worte von Komplexitätsforscher Professor Stefan Thurner beim kürzlich stattgefundenen Sparten-Netzwerktag in Graz vor Vertretern sämtlicher agrarischer Sparten verdeutlichen, wie entscheidend stabile Lieferketten für unsere Wirtschaft sind. Besonders die Landwirtschaft steht dabei im Fokus.
Krisen erkennen
„Viele Krisen hängen zusammen – und zwar über die Lieferketten“, so Thurner. Ob Energieknappheit, Inflation oder Versorgungsausfälle: Ein einziger Bruch kann weitreichende Folgen haben. Was passiert, wenn Futtermittel nicht eingeführt werden können, Grenzen infolge von Tierseuchen geschlossen sind oder Antibiotika-Lieferungen ausbleiben? „Solche Szenarien sind keine Theorie, sondern reale Risiken“, so der Professor.
Versorgung auf Spiel
Die Landwirtschaft ist ein Paradebeispiel für diese Abhängigkeit. Vom Saatgut über Dünger und Futtermittel bis hin zur Verarbeitung in den Schlachthöfen und Molkereien – jeder Schritt ist Teil eines hochvernetzten Systems. Fällt ein Glied aus, steht nicht nur die Produktion, sondern die gesamte Versorgung auf dem Spiel. „25 Prozent aller Firmen sind nächstes Jahr nicht mehr da, 60 Prozent der Lieferbeziehungen verschwinden und werden neu gebaut, auch wenn die agrarische Kette etwas differenzierter zu bewerten ist“, warnte Thurner. Diese Dynamik macht verletzlich.
Krisen früh erkennen
Die Verarbeitung ist dabei ein neuralgischer Punkt. Ein Ausfall eines Schlachthofs oder einer Molkerei kann die ganze Kette lahmlegen – Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln sind die Folge. So sollte gerade die EU ihren Binnenmarkt durchleuchten und ihre Lieferketten kennen – für mehr Widerstandsfähigkeit im Bereich der Energie und Ressourcen, in der Verteidigung oder aber auch für mehr Ernährungssouveränität. Das Gute daran ist aber, dass Krisen vorzeitig abbildbar sind und abgefangen werden könnten. Warum macht man das nicht?
Digital-Schlüssel
Die Verfügbarkeit von Daten und ihr Management legen die Basis für die Bewertung des Lieferkettennetzwerks. Glücklich ist, wer im Besitz davon ist und es nutzbar machen kann. „Das Datenmanagement geht nur über Digitalisierung“, betonte Thurner. Frühwarnsysteme, die Nachrichten auswerten und Engpässe prognostizieren, sind auch in Österreich bereits in Entwicklung. Sie sollen helfen, Krisen nicht nur zu bewältigen, sondern ihnen vorzubeugen. Es fehle aber hierzulande noch in zahlreichen Bereichen am Willen, an Daten, an Rechenleistung.
Nur gemeinsam
Die Botschaft von Thurner war klar: Die Landwirtschaft ist kein isolierter Sektor. Sie ist integraler Bestandteil einer globalen Lieferkette, deren Stabilität über Ernährungssicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand entscheidet. Politik, Wirtschaft/Landwirtschaft und Wissenschaft müssen gemeinsam handeln, um diese Ketten widerstandsfähiger zu machen – sonst drohen Krisen, die weit über leere Regale hinausgehen.