Landwirtschaft: Sichere Lebensmittelversorgung hat höchste Priorität
Noch nie dagewesene Kostenwelle
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch die Situation der heimischen Landwirtschaft noch einmal dramatisch verschlechtert. „Schon seit etwa einem Jahr sind die heimischen Bäuerinnen und Bauern mit einer noch nie dagewesenen Teuerungswelle bei Betriebsmitteln, Energie und beim Bauen konfrontiert. Die bäuerlichen Familienbetriebe stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher. Eine rasche und effiziente Hilfe ist jetzt das Gebot der Stunde, denn es geht dabei vor allem auch um eine sichere nationale und globale Versorgung mit Lebensmitteln. „Die Anbausaison steht vor der Tür, unsere bäuerlichen Familienbetriebe brauchen jetzt vor allem echte Entlastungen und gezielte Unterstützungen“, fordert der Kammerpräsident gemeinsam mit Agrarlandesrat Johann Seitinger ein 7-Punkte-Programm.
7-Punkte-Entlastungspaket nimmt Handel, Lebensmittelverarbeiter und Politik in die Pflicht
Es besteht die reale Gefahr, dass noch mehr Betriebe für immer ihre Tore schließen und so die Bevölkerung von vermehrten Importen abhängig wird. „Das darf nicht passieren, weil eine sichere Eigenversorgung Teil der Sicherheitspolitik eines Landes sein muss. Gleichzeitig haben wir Mitverantwortung, wenn es zu erwartbaren globalen Engpässen kommt. Wir müssen unsere landwirtschaftlichen Produktionskapazitäten mit unserer vorbildlichen Kreislaufwirtschaft voll ausschöpfen“, betont Titschenbacher. Konkret fordern die Agrarspitzen für eine sichere Versorgung:
- Höhere Erzeugerpreise: Kostensteigerungen in der Landwirtschaft müssen auf Produktpreise umgelegt werden. Insbesondere die Lebensmittelverarbeiter und der Lebensmittelhandel sind gefordert, für eine rasche Anpassung der agrarischen Erzeugerpreise zu sorgen. Die eklatant gestiegenen Produktionskosten sind für die Bauern existenzbedrohend.
- Unbürokratisch und rasch: Ernährungs-Souveränitäts-Hunderter vom Bund. Konkret soll der Bund 100 Euro pro Hektar bewirtschafteter Fläche als rasche Hilfe zur Abmilderung der Kostenexplosion für die Bauern bereitstellen. Der österreichweite Finanzbedarf dafür beträgt 225 Millionen Euro, wobei der Finanzminister aufgrund der Teuerungswelle bei den Betriebsmitteln ohnehin hohe Zusatzeinnahmen erwirtschaftet. Der Ernährungs-Souveränitäts-Hunderter ist somit für den Finanzminister zumindest zur Hälfte aufkommensneutral und darf nicht aus dem bestehenden Agrarbudget kommen.
- Maximale Rückerstattung der Mineralölsteuer für Agrardiesel. Österreich hat europaweit eine der höchsten Steuerbelastungen für in der Landwirtschaft eingesetzten Diesel. Die pragmatische und zugleich europarechtlich einfachste Lösung, um die Kostenexplosion beim Betriebsmittel Diesel abzufedern, ist die pauschale Rückerstattung der Mineralölsteuer.
- EU, Bund und Länder müssen Produktion ermöglichen! In den bevölkerungsreichen nordafrikanischen Staaten und im Nahen Osten wird eine Hungerkatastrophe erwartet, auf Europa kommt eine verstärkte Migration aus diesen Ländern zu. Da diese Regionen zu 85 Prozent von Getreideexporten aus dem Kriegsgebiet abhängig sind, haben Europa und auch Österreich eine Mitverantwortung, dass es zu keinen weltweiten Lebensmittelengpässen kommt. Daher müssen Europa, Bund und Länder landwirtschaftliche Produktion im Sinne unserer vorbildlichen Kreislaufwirtschaft ermöglichen und Produktionseinschränkungen sowie die ständige Verschärfung der Produktionsstandards hintanstellen. Europa und Österreich müssen auf den produktiven Flächen mehr nachhaltige Lebensmittel, agrarische Rohstoffe und erneuerbare Energieträger herstellen. Das würde maßgeblich zur Entspannung der Versorgungslage in Nordafrika und im Nahen Osten beitragen, weil aus dem Kriegsgebiet 25 Millionen Tonnen Weizen fehlen.
- Dünger: Europa soll Betriebsmittel wieder selbst produzieren! Russland ist der weltweit größte Stickstoffproduzent mit einem Exportanteil von 40 Prozent. Die weltweite Abhängigkeit von russischen Düngerexporten hat innerhalb eines Jahres zu einer Preisexplosion bei Dünger von 200 Prozent geführt. Um eine Gefährdung der internationalen Lebensmittelversorgung und eine einhergehende Teuerungswelle zu verhindern, muss die Düngemittelproduktion wieder in europäische Hände kommen.
- Lagerhaltung auch für Getreide. In Anlehnung an die Lagerhaltung von Öl und Gas als Krisenvorsorge, sollten zur sicheren und zuverlässigen Versorgung mit Lebensmitteln entsprechende Getreidelager angelegt werden. Die sichere Versorgung der Bevölkerung ist als oberste Priorität in der Verfassung zu verankern.
- Mit Bioenergie aus der Gaskrise. Mit Holzenergie und Biogas können Erdgaslücken in Zukunft gefüllt werden. Denn in österreichischen Wäldern schlummern ausreichend Nutzungsrückstände, um neben einem massiven Holzbauprogramm auch den Bedarf von Raum- und Fernwärme sowie Strom in den kommenden Jahren zu decken. Mit den neuen Technologien zur Erzeugung von Holzdiesel und Holzgas können fossile Energieträger in der Land- und Forstwirtschaft gänzlich ersetzt werden. Die Landwirtschaftskammer fordert verbindliche Ausbauszenarien für grünes Gas sowie die Realisierung von Reallabors zur Erzeugung von Holzdiesel und Holzgas. Und der „Raus aus Öl und Gas Bonus“ ist auch für landwirtschaftliche Betriebe zu öffnen.
Agrarlandesrat Johann Seitinger
„Der derzeitige Ausnahmezustand zeigt uns wieder einmal auf, wie bedeutend es ist, über die Versorgungssicherheit mit Energie und vor allem Lebensmitteln rechtzeitig nachzudenken und auch entsprechend zu handeln. Krisen kündigen sich nicht an, sie zeigen aber viele Systemfehler der Wohlstandsgesellschaft auf. Gleichzeitig unterstreichen diese Krisen, dass auch freie Märkte Regeln brauchen. So ist eine heimische Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung nur dann krisensicher, wenn Konsumentinnen und Konsumenten auch in ‚Nicht-Krisenzeiten‘ zur regionalen Qualität greifen.“
Explodierende Kosten bei gleichzeitig dramatisch niedrigen Stundenlöhnen in der Landwirtschaft
Die bäuerlichen Familienbetriebe können die Kostenexplosion einfach nicht mehr stemmen. „Konkret sind innerhalb eines Jahres Düngemittel wie Stickstoff um unglaubliche 200 Prozent, Futter um satte 66 Prozent, Diesel um kräftige 56 Prozent und Eiweißfutter um gut 45 Prozent für die heimischen Bauern teurer geworden“, rechnet Titschenbacher vor. Gleichzeitig sind die Erlöse der Bauern konstant niedrig: Im Schnitt liegen die Stundenlöhne nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge bei 7,50 Euro. Stickstoff-Dünger ist unverzichtbar für ein gutes Pflanzenwachstum, etwa die Hälfte der Weltbevölkerung verdankt ihre Ernährung diesem Dünger, bei dem kaum Aussicht auf sinkende Preise besteht. Wird nicht bedarfsgerecht gedüngt, wird weniger geerntet, die sichere Versorgung steht am Spiel.