Kammer hat eine stabilisierende Funktion
Im Zusammenhang mit der Landwirtschaftskammer- Wahl war die Wahlbeteiligung vieldiskutiertes Thema. Wie sieht das der Politikwissenschafter?
KLAUS POIER: Die geringere
Wahlbeteiligung war für mich
nicht überraschend. Wir
sehen in Österreich
schon länger eine
durchschnittliche
Wahlbeteiligung
bei Kammerwahlen
zwischen
30 und 40 Prozent.
Im internationalen
Vergleich
liegt die Wahlbeteiligung
in Österreich aber
eher im oberen Bereich.
Wahlbeteiligungen von
90 Prozent und mehr
sehen wir in der Regel
nur in Ländern mit Wahlpflicht.
Welche Rolle spielte diesbezüglich der Lockdown?
Zum einen sind die Menschen
jetzt in der Pandemie mit vielen
Problemen konfrontiert,
da hat die Teilnahme
an einer
Wahl einen geringeren
Stellenwert
als sonst – besonders
wenn es keine
großen Aufregungen
im Wahlkampf
gab. Zum
anderen wird es auch
Fälle gegeben haben, in
denen aus Sorge vor einer
Ansteckung auf das
Wahlrecht verzichtet
wurde.
Die Wahlbeteiligung wird oft mit Zufriedenheit in Zusammenhang gebracht. Wie ist das zu bewerten?
Aus einer niedrigen Wahlbeteiligung
kann man aus politikwissenschaftlicher
Sicht keinen
direkten Schluss über die
Zufriedenheit ziehen. Es gibt
in einigen Ländern mit hoher
Zufriedenheit mit dem politischen
System durchaus auch
niedrige Wahlbeteiligungen.
Motto: Passt eh alles so! Eine
niedrige Wahlbeteiligung kann
also sowohl Folge von Unzufriedenheit
als auch von Zufriedenheit
sein. Die Wahlbeteiligung
hängt vor allem damit
zusammen, für wie wichtig
es jemand hält, mit seiner
Stimme an der konkreten
Machtverteilung mitzuwirken.
Welche Bedeutung ist den Sozialpartnern, insbesondere der Landwirtschaftskammer, generell zuzuschreiben?
Die österreichische Sozialpartnerschaft
hat sich in der Zweiten
Republik bewährt. Kritik
bezüglich starrer Strukturen,
wenig Innovation und Modernisierung,
wenig Offenheit für
neue Gruppen und Entwicklungen
führten zu Veränderungen
und Modernisierungen.
Wenn sich heute Spaltungstendenzen
in unserer Gesellschaft
zeigen, wie jetzt bei Corona,
kann die österreichische Sozialpartnerschaft
jedenfalls als
stabilisierender Faktor angesehen
werden, den man nicht geringschätzen
sollte.