Dem Erbe verbunden, dem Wandel verpflichtet, der Zukunft entgegen
Ihr Rücktritt kam überraschend. Was waren Ihre Beweggründe?
FRANZ TITSCHENBACHER: Nach reiflicher Überlegung waren zwei Punkte entscheidend. Erstens: Bei der Kammerwahl 2026 noch einmal anzutreten – ja oder nein. Und zweitens: Den Hof im bäuerlichen Sinn dann zu übergeben, wenn tüchtige Übernehmerinnen und Übernehmer Verantwortung übernehmen können. Andreas Steinegger als designierter Präsident und Landesrätin Simone Schmiedtbauer als künftige Bauernbund-Obfrau sind nun jene Persönlichkeiten zur richtigen Zeit.
Welche Bilanz ziehen Sie nach zwölf Jahren an der Spitze der steirischen Bauernvertretung?
Es war mir eine besondere Ehre und Auftrag gemeinsamen mit Verantwortlichen in der EU, in Bund und Land sowie mit Vertretern der unterschiedlichsten Sparten mit und für unsere bäuerlichen Familien tätig zu sein. So denke ich gerne an diese zwölf Jahre zurück.
Was ist Ihnen in der Rückschau besonders gut gelungen?
Mein Zugang war immer, eine realistische Zuversicht zu vermitteln. Einerseits der Realität mit all den Herausforderungen und Sorgen ins Auge zu blicken und gleichzeitig gemeinsam mit den Funktionärinnen und Funktionären sowie den Experten des Hauses Lösungen und zukunftsfähige Antworten zu erarbeiten. Andererseits der Jugend Zuversicht zu vermitteln – mit Blickpunkt darauf, dass Essen, Trinken und Energie immer gebraucht werden.
Was hat Sie während Ihrer Präsidentschaft besonders gefordert?
In verschiedenen Sparten und Branchen gab es in unterschiedlicher Ausprägung immer wieder besondere Herausforderungen – so zum Beispiel die Marktsituation sowie das Familieneinkommen. Oder wenn es darum ging, von Bund und Land die entsprechenden Unterstützungen zu erreichen. Herausfordernd war, Bäuerinnen, Bauern und der Jugend in besonderen Lebenssituationen und Schicksalsschlägen beizustehen. Mitgelitten habe ich, wenn durch Hagel, Hochwasser, Dürre und andere Extremwetterereignisse innerhalb von Minuten Existenzen in Gefahr waren.
Was würden Sie mit der Erkenntnis von heute anders machen?
In einer Funktion gibt es wie im persönlichen Bereich immer wieder Situationen, die mit einem erweiterten Informationsstand anders zu entscheiden gewesen wären. Mein Zugang war immer, mit bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zu treffen. Daran habe ich mich immer orientiert.
Kniffelig waren die Verhandlungen zum Bau- und Raumordnungsgesetz. Ihr wesentliches Anliegen dabei?
Als ich meine Funktion übernahm, ließ das Bau- und Raumordnungsgesetz keine oder nur eine sehr eingeschränkte Weiterentwicklung der Betriebe zu. Auf breiter politischer Basis haben wir eine Novellierung mit dem Ziel angestrebt, die Produktion im Land zu erhalten und die Versorgung mit qualitätsvollen Lebensmitteln zu sichern. Es gab dann mehrere Novellen, die letzte im Juli 2023 – enorm wichtige Signale! Natürlich sind zur Weiterentwicklung punktuell künftig weitere Schritte notwendig – Stichwort Kumulation.
Ein anderer Dauerbrenner ist das Regionalprogramm, dem Sie sehr viel Zeit gewidmet haben. Sind Lösungen in Sicht?
Die Regionalprogramm-Verordnung 2015 ist für fast 2.000 Betriebe in Graz/Umgebung, Leibnitz und Teilen der Südoststeiermark extrem herausfordernd. Einerseits der Anspruch nach guter Wasserqualität und andererseits durch gelebte nachhaltige Produktion Wertschöpfung auf den Betrieben zu ermöglichen. Es ging mir um tragfähige Kompromisse und es wird auch in Zukunft einen tragfähigen Lösungsansatz brauchen.
Stichwort Bürokratieabbau. Sie sind ein Verfechter von Vereinfachungen. Wie optimistisch sind Sie, dass die Papierberge schmelzen?
Die Land- und Forstwirtschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu stark reguliert. Durch die Pandemie, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den plötzlichen Zusammenbruch von Lieferketten, ist der Wert der Eigenversorgung gestiegen. Das ist in Brüssel angekommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen wollen den Papierkram verringern. Darauf pocht auch Bundesminister Norbert Totschnig. Ich bin zuversichtlich, dass es durch gemeinsame Kraftanstrengung zu Veränderungen kommen wird.
Der Klimawandel hat sich verschärft. Welche großen Gegenstrategien haben Sie eingeleitet?
Die Bewältigung der Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Mit der klimafitten Grünlandbewirtschaftung, dem klimafitten Ackerbau und der klimafitten Forstwirtschaft sind sehr wichtige Signale für die Familienbetriebe gesetzt worden. Dabei geht es mir darum, die land-und forstwirtschaftliche Produktion in Zukunft abzusichern und darüber hinaus ist der Ausstieg aus fossiler Energie Gebot der Stunde.
Der Waldfonds und die dynamische Waldtypisierung sind durch Ihr Mitwirken entstanden. Wie hilfreich sind diese Instrumente?
Beide sind absolut wichtig. Mit der dynamischen Waldtypisierung werden Waldbesitzer fachlich bei der Baumartenwahl unterstützt. Parallel dazu ist das Ökosystem Wald zu stärken, da die Borkenkäferkalamitäten stark zugenommen haben. Hier setzt der Waldfonds ein, um Aufforstungen und Pflegemaßnahmen durch Unterstützungen zeitgerecht zu sichern. Es gelang, dass die neue Regierung den Waldfonds weiterführen wird.
Sie sind ein großer Mahner des vom Menschen gemachten Klimawandels. Welche Rolle wird die Land- und Forstwirtschaft künftig spielen, um den Klimawandel zu bremsen?
Als Hauptbetroffene des Klimawandels und als wesentlicher Teil der Lösung ist die Land- und Forstwirtschaft für die Energiewende unverzichtbar. Forstliche Biomasse und agrarische Reststoffe haben ein erhebliches Ausbaupotenzial. Auch die nachhaltige Bewirtschaftung und der Humusaufbau werden wichtiger Teil der Lösung sein.
Sind Sie als unermüdlicher Kämpfer für den Ausbau des Biomasse-Einsatzes zufrieden mit den Entwicklungen?
Gerade die steirische Kammer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm für die Biomasse stark gemacht und wird es auch künftig tun. Unter anderem sind im neuen Regierungsprogramm weitere Möglichkeiten bei Wärme, Strom, Treibstoff und Gas festgelegt. Dabei wird die Land- und Forstwirtschaft eine unverzichtbare Rolle spielen.
Zur Holzdiesel- und Holzgasherstellung haben Sie das Reallabor nach Zeltweg geholt und eine millionenschwere Finanzierung aufgestellt.
Die Errichtung des Reallabors ist mir ein besonderes Anliegen. Mit namhaften Partnern haben wir das Advanced Bioenergy Lab (ABL) als österreichweite Genossenschaft gegründet. Die Verantwortlichen im Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten derzeit intensiv an den Auftragsvergaben. Heuer wird voraussichtlich Baubeginn zur Erzeugung von erneuerbarem fertig tankbarem Diesel und erneuerbarem Gas sein.
Sie übergeben ein zukunftsfittes Haus Landwirtschaftskammer. Wird Ihnen die Kammer fehlen?
Ja, natürlich. Wir haben die Aufgaben- und Strukturreform breit diskutiert und gemeinsam umgesetzt – mit Kompetenzzentren, der Zusammenlegung von Geschäftsstellen und Abschaffung einer Führungsebene, aber immer unter der Prämisse, ein verlässlicher Dienstleister für die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern zu sein. Darüber hinaus ist es die gemeinsame Weiterentwicklung des Kultur- und Bildungshauses Steiermarkhof für „Jüngere und Ältere“ und auch als unverzichtbare Begegnungsstätte zwischen Stadt und Land. Zwei Herzen sind in meiner Brust: die wertvollen Begegnungen mit den Bäuerinnen, Bauern, der Jugend, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie das Ringen um eine gute Zukunft der Land- und Forstwirtschaft wird mir fehlen. Der zweite Teil des Herzens gilt meiner Familie und den Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Betriebs. Darauf freue ich mich.
Der Land- und Forstwirtschaft gehen Sie nicht ganz verloren.
Die Aufgabe im steirischen und österreichischen Raiffeisenverband werde ich weiter ausüben. Und für die Energiewende werde ich meine Kraft bundesweit im Biomasseverband sowie in der örtlichen Biomassegenossenschaft einbringen.
Welche Botschaft wollen Sie den Bäuerinnen, Bauern und Grundbesitzern mit auf den Weg geben?
In unserem alten Stall hängt bei uns ein zeitloser Spruch: dem Erbe verbunden, dem Wandel verpflichtet, der Zukunft entgegen. Diese Weisheit sagt im bäuerlichen Sinn so viel aus – wissend was unser Fundament ist, woher wir kommen, gleichzeitig auch offen zu sein für den Wandel und die Veränderung mit Blickrichtung auf die Verantwortung den nächsten Generationen gegenüber. Dazu möchte ich einladen und gleichzeitig Danke für den gemeinsamen Weg sagen – allen bäuerlichen Familien, aber auch den politischen Verantwortlichen in EU, Bund, Land und Gemeinden sowie allen Wegbegleitern in der gesamten Vielfalt der heimischen Land- und Forstwirtschaft.