Regionales stärken und bevorzugen

Wir sprachen mit Bundesministerin Elisabeth Köstinger über das Kuhurteil, die Corona-Krise, regionale Lebensmittel, die geforderte Pflichtkennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln sowie über den erwarteten Waldrettungsfonds des Bundes.
Frau Bundesministerin, aus aktuellem Anlass: Was sagen Sie zum Tiroler Kuhurteil?
Wir haben die entsprechende Gesetzesänderung bereits nach dem Ersturteil im Frühjahr 2019 mit dem Aktionsprogramm für sichere Almen neu geregelt. Mit diesen Maßnahmen wurde bereits letztes Jahr Rechtssicherheit für die Bäuerinnen und Bauern geschaffen und gleichzeitig auch die Eigenverantwortung der Gäste in den Fokus gestellt. Das Urteil ist für uns nach wie vor unverständlich, aber es beruht auf der alten Rechtsgrundlage.
Zu Corona: Seit dem Regionalitätsgipfel „Österreich isst regional“ vor zwei Wochen im Bundeskanzleramt arbeiten Landwirtschafts-, Finanz- und Umweltministerium an einem Regionalbonus für Lebensmittel. Was ist Ihr Ziel dabei?
Regionalität sowie gesunde, sichere Lebensmittel stehen für uns an oberster Stelle. Die Corona-Pandemie hat die Schwächen der globalisierten Versorgungsketten aufgezeigt. Unser Ziel ist es, die Eigenversorgung bestmöglich abzusichern, den Konsum von regionalen Lebensmitteln deutlich zu forcieren und somit die Abhängigkeit von Importen aus Drittstaaten zu reduzieren. Damit das gelingen kann, ist ein Schulterschluss zwischen allen Akteuren sowie der Ausbau der regionalen Wertschöpfung entlang der Produktions- und Lieferkette notwendig. Gemeinsam mit der Lebensmittelverarbeitung, dem Lebensmittelhandel und der Gastronomie werden in den nächsten Wochen konkrete Aktionspläne erarbeitet. An der genauen Ausgestaltung des Regionalitätsbonus wird derzeit mit dem Finanzministerium gearbeitet. Im Rahmen der „Farm to Fork“- Strategie der EU-Kommission habe ich auch um Unterstützung seitens der EU bei der Umsetzung des Regionalitätsbonus eingefordert.
Zum Regionalitätsbonus gibt es bereits Expertenkritik. Dieser sei ein Eigentor, weil Österreich mehr Lebensmittel produziert als es braucht. Halten Sie an diesem System fest?
Exportorientierung und Förderung der Regionalität schließen einander ja nicht aus. Uns geht es darum, regionale Versorgungskreisläufe zu schließen und dort, wo es notwendig ist, den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen und die Versorgung mit heimischer Frischware abzusichern.
Wir wollen Produkte aus heimischer Erzeugung stärken und ihnen den Vorrang geben.
Sie haben kürzlich auch für die gesamte Bundesregierung angekündigt, den Anteil an regionalen Lebensmitteln in öffentlichen Einrichtungen zu erhöhen. Ihre Ziele?
Es geht um ein klares Bekenntnis zu Rohstoffen und Produkten aus Österreich. Wir wollen die Bemühungen in der öffentlichen Beschaffung gemeinsam mit der Bundesbeschaffung GmbH verstärken. Ein gemeinsames Projekt ist in Ausarbeitung.
Was werden Sie unternehmen, dass sich Länder und Gemeinden anschließen?
Der öffentliche Sektor und die öffentliche Beschaffung haben eine Vorbildfunktion. Gerade die Gemeinden und Länder profitieren vom Ausbau regionaler Wertschöpfung. Sie können die Beschaffungen zu einem Motor regionaler Wertschöpfung machen. Das alles sind Argumente, mit denen ich jede Gemeinde überzeugen möchte.
Bis Sommer sollte die verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Fleisch-, Ei- und Milchprodukten in Großküchen und im Handel stehen. Wie schaut der coronabedingt veränderte Fahrplan aus?
Mit der Umsetzung der Primärzutatenverordnung ist uns der erste Schritt gelungen. Hinsichtlich des Lückenschlusses der Kennzeichnung bei Fleisch und Eiern sind wir in intensiven Verhandlungen mit dem für die Kennzeichnung von Lebensmitteln zuständigen Gesundheitsministerium. Wegen der Bindung der Personalressourcen durch die Corona-Krise konnte der Zeitplan nicht eingehalten werden. Wir werden aber die Arbeit so schnell wie möglich wieder aufnehmen. Die Stimmen nach einer Herkunftskennzeichnung werden jetzt nach der Corona-Krise immer lauter und das ist gut so.
Corona hat für die Bäuerinnen und Bauern erstmals die ihnen zustehende Wertschätzung gebracht. Was tun Sie, damit sie erhalten bleibt?
Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass die österreichische Landwirtschaft völlig zu Recht als krisensichere Versorgerin wahrgenommen wird. Auch das Bewusstsein für die Herkunft von Lebensmitteln ist deutlich gestiegen – diese Entwicklung freut mich natürlich sehr. Unser Ziel ist es, diesen Trend langfristig im Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten zu etablieren und dieses Ziel haben wir bei unserem „Österreich isst Regional“-Gipfel im Bundeskanzleramt klar in den Fokus gestellt.
Corona hat aber trotz Wertschätzung wichtige Agrarmärkte – Milch, Rindfleisch, Schweinefleisch – in Turbulenzen gebracht. Wie können Sie helfen?
Grundsätzlich positiv bewerte ich die Möglichkeit der privaten Lagerhaltung – das sorgt kurzfristig für Marktentlastung und ist ein erprobtes Instrument. Besser und effektiver wäre aber eine EU-weite, freiwillige Mengenreduzierung, wie sie bereits in der Milchkrise 2016 erfolgreich angewendet wurde, gewesen. Die EU muss praktikable und vor allem erfolgversprechende Maßnahmen ergreifen, um die Märkte zu stabilisieren und so die Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen. Sinnvoll wäre jetzt auf europäischer Ebene ein Kassasturz, um nicht ausgeschöpfte EU-Mittel verfügbar zu machen. Damit würde man den Bäuerinnen und Bauern, die in der Krise am härtesten getroffen wurden, am besten unterstützen.
Sind Sie mit dem Härte- und Hilfsfonds des Bundes zufrieden?
Die Corona-Pandemie ist für Österreich die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und stellt für alle Beteiligten gleichermaßen eine Ausnahmesituation dar. Viele landwirtschaftliche Betriebe waren bereits davor mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert, die aktuelle Lage verschärft die Situation noch zusätzlich. Wir haben mit einem breiten Angebot auf nationaler und auf EU-Ebene reagiert: sei es mit dem Härtefallfonds, dem Hilfsfonds mit seinen Garantien, Krediten und Zuschüssen oder mit klassischen agrarpolitischen Maßnahmen wie beispielsweise der privaten Lagerhaltung. Wir geben Tag für Tag unser Bestes, damit wir die Existenzen der bäuerlichen Familienbetriebe absichern.
Für die Forstwirte und Waldbesitzer verhandeln Sie den Waldrettungsfonds. Wann wird dieser stehen?
Auch hier sind wir bereits in intensiven Verhandlungen mit dem Finanzministerium. Klar ist, dass wir Unterstützung auch für die Forstwirtschaft brauchen. Unser Wald trocknet in vielen Regionen regelrecht aus.
Die laufende GAP-Periode wird voraussichtlich um zwei Jahre verlängert. Heißt das frisches Geld zu gleichen, alten Bedingungen?
Die EU-Kommission hat am 31. Oktober 2019 den Vorschlag für eine Übergangsverordnung vorgelegt. Im Wesentlichen sollen die derzeit laufenden Instrumente und Programme auch im Jahr 2021 angewendet werden. Bei den Direktzahlungen und den Marktordnungsprogrammen kann das Fortführen mit der Übergangsverordnung festgelegt werden. Für die ländliche Entwicklung müssen die Programme entsprechend geändert werden.
Daran arbeiten wir mit Hochdruck.
Wie haben Sie bisher persönlich Corona erlebt und wie schauen Sie in die Zukunft. Welche Botschaft richten Sie in diesem Zusammenhang an die Bauern?
Wir arbeiten als Bundesregierung seit Wochen Tag und Nacht. Mein Team und ich sind rund um die Uhr im Einsatz für unsere bäuerlichen Familienbetriebe. Meine Botschaft: Danke an alle Bäuerinnen und Bauern im Land, die uns 365 Tage im Jahr mit Lebensmitteln in Top-Qualität versorgen.