"Europa muss nachhaltig und gleichzeitig produktiv sein"
Was sind die Herausforderungen der kommenden Monate?
Das sind aus meiner Sicht
primär diverse EU-Dossiers,
die Entwicklung der Märkte
und die dafür notwendige
strategische Ausrichtung. Zur
europäischen Politik: Wir erleben
gerade eine Zeit voller
Widersprüche. Corona und
der russische Angriffskrieg auf
die Ukraine haben uns Archillesfersen
und Irrwege in
den Versorgungsstrukturen
aufgezeigt. Wir würden uns
von den EU-Institutionen erwarten,
dass sie schneller auf
solche Erkenntnisse reagieren
und die Strategien an internationale
Notwendigkeiten
und Marktgegebenheiten anpassen.
Das fehlt uns massiv,
Kurskorrekturen müssen rascher
möglich sein.
Meinen Sie dabei auch den Green Deal und seine Umsetzungsbereiche?
Auch, aber ich möchte klarstellen:
Wir sind nicht gegen
die Idee des Green Deals, für
mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz
in Europa zu sorgen.
Diesen Zielen fühlen wir uns
im Sinne der kommenden Generationen
verpflichtet. Aber
wir sind gegen einige konkrete
Inhalte des Green Deals,
die in Form diverser Verordnungsvorschläge
am Tisch
liegen. Diese sind dringend
anzupassen und praktikabel
zu gestalten. Ich kann nicht
Lebensmittelversorgung regional
stärken und sichern wollen,
aber ständig davon reden,
Flächen aus der Nutzung zu
stellen und Betriebsmittel zu
reduzieren, ohne Alternativen
anzubieten. Das passt nicht
zusammen. In Wahrheit muss
es Europa schaffen, nachhaltig
und gleichzeitig produktiv
zu sein, etwa mittels Digitalisierung,
Forschung und Entwicklung.
Die Produktion
zu erschweren und zurückzuschrauben,
nützt nur dem
Import.
Sie haben zu Beginn auch die Märkte angesprochen. Was braucht es dort?
Wir haben eine Entwicklung,
wie sie schneller nicht
sein könnte und bei der Bäuerinnen
und Bauern kaum imstande
sind zu reagieren. In
den letzten drei Jahren ging es
zuerst um die Sicherstellung
der Versorgung, dann hat der
Ukraine-Krieg für enorm volatile
Märkte und weltpolitische
Veränderungen gesorgt und
derzeit dreht sich alles um das
Thema Teuerung. Hinzu kommen
dann ständig neue Wünsche
an die landwirtschaftliche
Produktion, etwa nach
mehr Tierwohl. Aber zum
Schluss zählt trotzdem das
Billige. Irgendwann muss man
die Frage stellen: Wie passen
die Forderungen an die Landwirtschaft
und die Markterlöse
zusammen? Das müssen alle
Beteiligten im Auge behalten,
bevor sie auf immer höhere
Standards drängen.
Tatsache ist aber, dass es schon jetzt vielfach höhere nationale Standards gibt, oder?
Ja, einerseits sollte die EU
in manchen Bereichen Österreichs
Beispiel folgen und
auch bei Drittstaatenimporten
für mehr Wettbewerbsfairness
sorgen. Auf der anderen Seite
brauchen wir eine klare Kennzeichnung.
Wir müssen das
AMA-Gütesiegel stärken und
ausbauen und auch in möglichst
vielen Bereichen eine
verpflichtende Herkunftskennzeichnung
schaffen. In
der Gemeinschaftsverpflegung
ist das seit 1. September
umgesetzt. Die Rückmeldungen
überzeugen mich, dass
sowohl Konsumenten als auch
Bäuerinnen und Bauern das
sehr befürworten und eine
Ausdehnung auf weitere Bereiche
fordern. Wir reden nicht
von einem Bürokratiemonster,
sondern von einfachen,
praktikablen Systemen, etwa
für Fleisch. Ich war gerade
in Finnland, das mit einem
einfachen, von der EU-Kommission
genehmigten Modell
vorzeigt, wie es funktionieren
kann. Wir suchen derzeit
das Gespräch mit der Gastronomie.
Beschlüsse gelingen
nicht von heute auf morgen,
aber erste Schritte gehören
dringend gesetzt. Viele Gastronomiebetriebe
zeigen ja auch
in Österreich schon freiwillig
vor, wie es geht, und haben
damit Erfolg.
Was fordern Sie bezüglich Getreideimporte aus der Ukraine?
Der Festlegung der Erzeugerpreise
liegen viele verschiedene
Ursachen zugrunde, es
wäre viel zu einfach, das auf
die Importe aus der Ukraine
zu reduzieren. Trotzdem fordern
wir mit Nachdruck von
der EU-Kommission, dass sie
dafür sorgt, dass das Getreide
an seine eigentlichen Bestimmungsorte
gelangt und
dort den Hunger stillt, anstatt
die europäischen, gesättigten
Märkte massiv zu stören. Es
muss dringend gehandelt werden.
Die EU muss auch überlegen,
wie mittelfristig mit der
ukrainischen Landwirtschaft
umgegangen werden soll. Die
dortigen Strukturen und Kosten
sind mit Österreich und
anderen europäischen Ländern
nicht vergleichbar. Ein
ungeregelter Marktzugang würde die europäische Landwirtschaft
überfordern.
Wo spießt es sich auf nationaler Ebene?
Etwa bei den von der SPÖ
ins Spiel gebrachten Steuerideen,
die auf den ersten Blick
so harmlos verpackt werden.
Wer jedoch Ahnung von unserer
Berufsgruppe hat, der
weiß, dass landwirtschaftlicher
Grund und Boden nichts
mit Luxus zu tun hat. Für Bäuerinnen
und Bauern ist das
aber keine Wertanlage, sondern
eine unverzichtbare Produktionsgrundlage.
Wer seine
Flächen verscheppert, der war
einmal Landwirt. Wenn wir
wollen, dass unsere Jugend
die Höfe übernimmt und Lebensmittel
herstellt, dann darf
man das nicht zusätzlich erschweren,
im Gegenteil. Und
in Richtung NGOs, die ständig
die Welt vor der Landwirtschaft
retten wollen: Vieles,
wo der Naturschutz heute
schützend seine Hand draufhält,
ist das, was Bäuerinnen
und Bauern über Jahrhunderte
geschaffen haben. Sie
wollen Lebensmittel, nachhaltige
Rohstoffe und Energie,
also die Zukunftsbereiche
schlechthin, zur Verfügung
stellen. Lassen wir sie doch
bitte arbeiten und sorgen wir
gemeinsam für gute Grundlagen.